Die Vereinsgründung und die ersten Jahre
Der Verein Alt Nördlingen wurde am Freitag, den 12. September 1924 aus der Taufe gehoben. Auf Einladung des damaligen Bürgermeisters Dr. Otto Mainer kamen weit über 200 Nördlinger Bürger und Bürgerinnen zur Gründungsversammlung im Gasthof „Walfisch“ zusammen.
Die Rieser Volkszeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom Mittwoch, den 17. September 1924 über die Vereinsgründung: Wörtlich hieß es:
„In der gut besuchten Versammlung stand die Frage der Gründung des Vereins ‚Alt Nördlingen‘ auf der Tagesordung. Der Vater des Gedankens dieser Gründung, Herr rechtskundiger 1. Bürgermeister Dr. Mainer, wies in seinen einleitenden Worten darauf hin, dass sich die zu gründende Vereinigung zum Ziele zu setzen habe, die Veranstaltung des historischen Festspiels ‚Anno 1634‘, des historischen Festzuges ‚Empfang des König Gustav Adolf von Schweden in Nördlingen‘ und eines öffentlichen historischen Tanzspieles, sowie des historischen Stabenfestes, wie sie auch durch sonstige Veranstaltungen und Arbeiten die kulturelle Überlieferung der ehemaligen freien Reichstadt aufrechterhalten, das gesellige und insbesondere das wirtschaftliche Leben in Nördlingen heben müsse. Diese Aufgabe sei eine der bedeutsamsten, die unserer Einwohnerschaft je gestellt worden sei.
Sie sei eine kulturelle und wirtschaftliche zugleich, eine kulturelle insoferne, als sie sich auf heimatgeschichtlichem Gebiet bewege und unserer Heimatpflege einen außerordentlich kräftigen Impuls zu geben geeignet sei, zu Nutz und Frommen unser selbst als auch unseres engeren und weiteren Vaterlandes, eine wirtschaftliche insoferne, als sie das ungeheuere Kapital, das unsere alte, in ihrem mittelalterlichen Charakter so vorzüglich erhaltene Stadt in ihren städtebaulichen Anlagen, ihren prähistorischen und historischen Sammlungen besitze, dem Wirtschaftsleben unserer Stadt nutzbar machen müsse durch das Erträgnis eines vielhunderfältigen Zinses …“
Sind das nicht sehr moderne Gedanken, die gerade heute Gültigkeit beanspruchen? Wie fortschrittlich die Gründungsväter des Vereins dachten, zeigt ein Blick in die heutige Diskussion über das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft; eine Diskussion, die allmählich dem Gedanken Raum verschafft, dass gerade die Kultur ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor ist und tatsächlich ein „Kapital“ darstellt. Ein Gedanke, der 1924 schon vorweggenommen wurde…
Ebenfalls sehr fortschrittlich mutet ein weiterer von Dr. Mainer geäußerter Gedanke an. Gemeint ist sein Aufruf, alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um mit dem dadurch erzeugten Wir-Gefühl die anstehenden Aufgaben gemeinsam in Angriff zu nehmen und zu bewältigen.
Dr. Otto Mainer erntete reichen Beifall für seine Rede und seine Anregung zur Vereinsgründung. Kaufmann Emil Henning und Lithograph Wilhelm Zeiträg schlugen ihn als 1. Vorsitzenden des neuen Vereins vor und betonten einmütig die Notwendigkeit der Vereinsgründung. Freilich sei es sinnvoll, so die Meinung Emil Hennings, den schon bestehenden Fremdenverkehrsverein dem Verkehrsausschuss des neuen Vereins einzugliedern, was allerdings die formelle Auflösung des Fremdenverkehrsvereins voraussetzt.
Nach Annahme des von Dr. Mainer vorgelegten Satzungsentwurfs, den er in Anlehnung an den Verein „Die Förderer“ in Landshut formuliert hatte, wurden die Vorstandschaft sowie einzelne Unterausschüsse gewählt. Mit der Festlegung des Mitgliedsbeitrages konnte die Versammlung geschlossen werden. Pianoforte-Fabrikant Hermann Böck dankte im Namen aller Anwesenden dem ersten Bürgermeister für die Vorbereitung der Versammlung.
Der Verein hatte eine klare Struktur. Jedes Mitglied erhielt eine Mitgliedskarte, auf deren Rückseite die Satzung des Vereins festgehalten war. Einzelne Ausschüsse waren für die geplanten Projekte und Aufgaben verantwortlich und hatten jeweils einen Vorsitzenden, einen Schriftführer sowie mehrere Beisitzer.
Einige der hier genannten Vorsitzenden der einzelnen Ausschüsse waren auch in der Vorstandschaft des „Gemeinnützigen Vereins Alt Nördlingen e.V.“ vertreten. Vereinslokal war der Reißturm, der zumindest in der Anfangszeit Tagungs- und Besprechungsort war. Freilich ist die hohe Wertschätzung der Kultur und die Hervorhebung des Heimatgedankens aus der Zeit heraus zu sehen.
Der Erste Weltkrieg (1914-1918) hatte ein zerstörtes Europa hinterlassen. Der Friede von Versailles (28. Juni 1919) hatte dem Deutschen Reich neben Gebietsabtretungen enorme Reparationsleistungen auferlegt und die Alleinschuld am Ausbruch des Krieges zugewiesen. Der Sturz der Monarchie mit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und der Ausrufung der ersten deutschen Republik hatte für ungewisse politische Verhältnisse gesorgt, die auch in der Weimarer Zeit (1919-1932) aufgrund häufiger Regierungswechsel nicht besser wurde. Dazu kam eine steigende Zahl von Arbeitslosen in Folge desolater wirtschaftlicher Verhältnisse. Die Schrecken des Krieges waren auch in Nördlingen spürbar geworden, blieben doch 196 Mitbürger im Krieg.
Um so erstaunlicher ist es, dass die Stadt mit Ihrem Ersten Bürgermeister Dr. Otto Mainer sich gleich in den ersten Jahren nach 1918 wieder um die Pflege des Heimatgedankens und um die Förderung des Fremdenverkehrs bemühte. Mit „Rieser Heimatwochen“ wollte man nicht nur den Heimatgedanken wieder in Leben rufen, sondern auch einen Beitrag zur Hebung des Fremdenverkehrs leisten. Und man hatte recht! Die „Rieser Heimatwoche“ vom 22.-31. Juli 1922 wurde ein großer Erfolg und zog Tausende von Gästen zu den einzelnen Veranstaltungen in das Ries und nach Nördlingen. Vier Jahre später sollten die zweiten „Rieser Heimatwochen“ folgen, um den großen Erfolg noch einmal zu wiederholen. Der Verein „Alt Nördlingen“ war da aber schon längst aus der Taufe gehoben und konnte bereits auf zwei Jahre erfolgreiches Bestehen zurückblicken. Eng verbunden mit der Pflege des Heimatgedanken war die Bewegung der Volksbildung, die in Nördlingen im Jahre 1919 in Leben gerufen wurde. Die Haupt- und Gründungsversammlung der „Gesellschaft für Volksbildung in Nördlingen“ fand am 12. März 1919 im „Walfisch“ statt und war ebenfalls eine Initiative des Ersten Bürgermeisters Dr. Otto Mainer. Mit der Bildung eines Jugendpflegeausschusses, Konzert-, Theater- und Vortragsausschusses wollte man das kulturelle Leben der Stadt umfassend aktivieren und repräsentieren. In einer Zeit, in der die Volkshochschule noch nicht gegründet war, kam dieser Anregung große Bedeutung zu.